Brandbeschleuniger Corona
Wie resistent ist die Shopping-Center-Branche? Symptome lindern reicht nicht!
In der Shopping-Center-Branche war es schon seit geraumer Zeit fünf vor zwölf. Mit der Corona-Krise springt der Zeiger jetzt um. Während die Center mit allen Grundversorgern im Notbetrieb laufen, kämpfen viele ihrer Kernmieter aus dem Fashion Retail ums Überleben. Droht im wahrsten Sinne des Wortes die Geisterstunde? Leere Läden, leere Malls, leere Innenstädte – bleibt der Spuk auch, wenn die Welt irgendwann wieder zum normalen Leben zurückkehrt? Man darf es nicht falsch einsortieren: Für den Flächenbrand im stationären Einzelhandel ist Corona nicht Brandstifter, sondern lediglich Brandbeschleuniger. So unvorhersehbar diese Krise auch war, auf so fruchtbaren Boden trifft sie in einer angeschlagenen Branche, die sich seit Jahren schwer tut, Rezepte für die Veränderungen im Einkaufs- und Freizeitverhalten der Menschen zu finden.
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Die Shopping-Center sind Risikogruppe, Corona boostet alle Trends, die sie seit Jahren schon vor Herausforderungen stellen, vor allem Online-Handel, Digitalisierung und Konsumverzicht. Doch selbst wenn man die allgegenwärtige Online-Offline-Diskussion mal außer Betrachtung lässt, sind sie Corona-Patienten mit ernstzunehmenden Vorerkrankungen.
Fazit: Die Center gehen angeschlagen in die Corona-Zeit. Und sie werden noch schwerer angeschlagen wieder rausgehen. Die großen reinrassigen Shopping-Ikonen wie CentrO, AEZ, oder MTZ, die Top 50 in Deutschland vielleicht, sie werden sich schütteln und einigermaßen schnell wieder funktionieren, aber wie sieht es mit den anderen 450 Standorten aus? Die aktuellen Bemühungen gehen natürlich dahin, möglichst viele Retailer am Leben zu halten. Die gemeinsamen Interessen von Händlern und Vermietern manifestieren sich in einer engen Zusammenarbeit von HDE, GCSP und ZIA und einem jüngst verabschiedeten Code of Conduct. Das sind zumindest gute Initiativen zur Behandlung der akuten Symptome.
Aber wie geht es denn überhaupt weiter, wenn es endlich weitergeht? Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die Wiedereröffnung der Läden mit einer einzigartigen Rabattschlacht offline wie online einhergehen wird. Die Antwort des Handels auf volle Läger waren immer schon Preissenkungen. Und natürlich wird es auch einen gewissen Nachholbedarf geben, die Lust wieder raus zu gehen, die Lust wieder shoppen zu gehen. Aber es steht zu befürchten, dass der Lockdown nachhaltige Auswirkungen auf das Konsumverhalten der Menschen haben wird. Kommen wir nicht eigentlich ganz gut damit klar, weniger zu kaufen? Werden wir das künftig noch bewusster tun und uns noch klarer auf die Pole Qualität und Preis fokussieren? Und vor allem nachhaltiger shoppen? Und werden wir – um zu den Shopping-Centern zurückzukehren – an die Orte, an denen wir einkaufen, nicht viel höhere Maßstäbe anlegen, wenn wir uns daran gewöhnt haben, das alles, was wir wirklich brauchen, im Supermarkt erhältlich ist oder per Paketbote kommt?
Jede Krise hat auch Chancen. Für die Shopping Center liegt sie darin, ihre Vorerkrankungen zu heilen. Die Möglichkeit besteht, auch wenn das bedeutet, dass kurzfristig Investitionen ausgelöst werden müssen, die sich im besten Fall mittel-, realistisch eher erst langfristig amortisieren werden. Da das NOI durch Mietausfälle für 2020 aber in vielen Objekten ohnehin negativ sein wird und die Perspektiven ohne Investment noch negativer und die Objekte damit immer schwerer verkäuflich werden, ist das langfristige Engagement für viele Eigentümer möglicherweise eine attraktive Alternative zum Hübsch-machen-und-abstoßen. Nicht die schlechteste Marktentwicklung im Übrigen.
Um also nach der Corona-Krise eine begehrliche Immobilie zu haben, die Menschen besuchen wollen, in der Mieter Flächen belegen wollen, die Investoren erwerben möchten, braucht es:
- Ein klares Profil, das das Objekt gegenüber Wettbewerbern differenziert und eine eigenständige Identität, die sich aus den Gegebenheiten des Ortes ableitet. Eine Brandstory und Positionierung, die es unverwechselbar macht, regional tief verwurzelt und die Leitlinien vorgibt für einen
- Nutzungs- und Mietermix, der die Bedürfnisse der Kunden im Einzugsgebiet aufnimmt und ggf. auch großen Raum lässt für identitätsprägende, individuelle und experimentelle, retailfremde Nutzungen, die unter Mietgesichtspunkten ggf. auch unattraktiv sind. Es wird beispielsweise nicht gelingen, signifikante Entertainmentanteile im Sortiment anzusiedeln, wenn man nicht bereit ist, attraktive Flächen für Mieten abzugeben, die unter denen liegen, die filialisierte Händler bereit wären zu zahlen. Die dauerhafte Profilierung muss Vorrang haben vor der kurzfristigen Mietmaximierung. Im Fokus der Betrachtung muss die langfristige Sicherung des Objektwertes sein. Es muss für Mieter und Investoren dauerhaft am Markt begehrlich bleiben.
- Auch das Interior Design muss sich letztlich aus der Brandstory ableiten und die Aufenthaltsqualität und Erlebnisqualität maximieren. Alle Freizeitangebote werden alle Hebel in Bewegung setzen, uns mehrwöchige Couch Potatoes wieder anzulocken und wir alle werden unsere Zeit sehr selektiv an Orten verbringen wollen, die uns begeistern, inspirieren, faszinieren. Das Interior Design der Center muss auf ein komplett anderes Niveau gehoben werden und Maßstäbe setzen im Wettbewerb zu Freizeitparks, Hotels, Kinos, Parks und all den anderen Wettbewerb im New Leisure.
- Zu guter Letzt wird es ein Placemaking brauchen, das die einzigartigen Orte auch als solche kommunikativ platziert. Das etablierte Marketing-Standards wieder verlässt und die Unverwechselbarkeit jedes einzelnen Ortes herausstellt.
Man darf sich nicht täuschen: Wenn das Land und die Wirtschaft aus der Quarantäne entlassen wird, beginnt für die Shopping Center nach einer ersten Erleichterung der eigentliche Existenzkampf. Wohl dem, der nicht nur die akuten Symptome lindert und Budgets für krisenbedingte Mietausfälle einstellt, sondern sich jetzt auf die eigentlichen Ursachen konzentriert und bereit ist, radikal neu zu denken und seine Immobilien mit den notwendigen Mitteln in langfristig marktfähige Objekte zu entwickeln.
Über den Autor:
Mathias Sander, 48, blickt auf 25 Jahre Erfahrung in der Shopping Center Branche zurück. Als Director Center Marketing verantwortete er bei der ECE mehrere Jahre zentralseitig das B2C-Marketing der Shopping Center und begründete und leitete die Mallvermarktung, die er zu einem profitablen Geschäftsfeld ausbaute.
Seit 2018 begleitet er für dan pearlman verschiedene Shopping Center in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei Repositionierungen und Umstrukturierungen.
Die dan pearlman Group berät als strategischer Kreativpartner neben Shopping Centern und Retailern u.a. auch Freizeit- und Entertainmentparks oder Zoos bei Neuausrichtungen. Die Kompetenzen in der Entwicklung und Gestaltung von Orten bündeln sich im Geschäftsfeld Destination Development, in das außerdem diverse Mixed-Use-Entwicklungen mit den unterschiedlichsten Nutzungsschwerpunkten fallen.
- Brandbeschleuniger Corona - 16. Juli 2020
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