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Mit dem Handelsszenario 2030 zurück in die Zukunft

Mit dem Handelsszenario 2030 zurück in die Zukunft – Die nächsten 10 Jahre gestalten, indem wir die letzten 10 Jahre verstehen!


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Der Blick von oben vernebelt die Gegebenheiten unten. Auch wenn wir in den letzten 10 Jahren für Deutschland ein Gesamtwachstum im Einzelhandel von 134 Milliarden Euro ausweisen, offenbart die Detailperspektive, dass eine differenzierte Sicht Not tut. Denn ziehen wir beim Gesamtwachstum im Einzelhandel das im Ausland getätigte Geschäft, den Umsatz des Großhandels und den Onlinehandel ab, reduziert sich der Wert bereits auf 53 Milliarden Euro. Reduzieren wir diesen Betrag nochmals um das Wachstum im Lebensmittelhandel, um auf diese Weise das Wachstum des heute strukturgebenden Nonfood-Handels auszuweisen, bleiben gerade einmal 15,1 Milliarden Euro übrig. Dies entspricht für den Zeitraum von 2010-2019 etwa 1,7 Milliarden Euro pro Jahr und bedeutet nahezu Stillstand. Was in Zahlen zu berechnen ist, erleben nicht nur aufmerksame Besucher in den Städten. Der Teufelskreislauf von rückläufigem Handelsbesatz und rückläufiger Innenstadtattraktivität ist in vielen Orten Deutschlands sichtbar.


Anfangs hieß es, Multi-Channel wird die erfolgreichen und weniger erfolgreichen Unternehmen im Handel separieren. Dies war auch so – entsprechend verloren zunächst die kleinbetrieblichen Unternehmen Marktanteile. Jetzt aber hat die Geschwindigkeit der Marktstrukturveränderung so zugenommen, dass auch bei Multi-Channel-Händlern zwar Marktanteile gewonnen wurden, Wachstum in den letzten Jahren aber zunehmend rückläufig ist. Die Bespielung mehrerer Kanäle ist Hygienefaktor aber kein Abgrenzungsmerkmal mehr. Es braucht neue Mehrwerte, um in der Gunst der Konsument*innen zu bestehen.

Denn auch Konsument*innen und ihre Anforderungen haben sich geändert. Online sozialisiert sind viele von Handelsunternehmen verwöhnt worden und sie fordern zunehmend Bequemlichkeit und Emotionalität von allen Anbietern im Markt. Hinzu kommt ein neues Selbstverständnis und ein neuer Wertemaßstab, der nicht zuletzt durch Fridays For Future beeinflusst ist.

Zukunft im Handel braucht entsprechend neue oder zumindest konsequente Ansätze. Mit dem Handelsszenario 2030 wurden Zukunftsalternativen berechnet, in denen unterschiedliche Faktoren Eingang fanden und hinsichtlich ihrer Bedeutung plausibilisiert wurden.

Herausgekommen sind vier Szenarien, die sich entlang der Achsen „Wachstumsraten im Einzelhandel“ sowie „Anzahl stationärer Touchpoints“ ergeben. In keinem der Szenarien bleibt die Zahl der in Deutschland tätigen Handelsunternehmen gleich. Je nach Szenario verschwinden 26.000 bis 64.000 Unternehmen.

Es stellt sich somit weniger die Frage, wie Wachstum in Breite möglich ist, sondern vielmehr wie Marktanteile erhalten werden können. Auch hier leiten sich aus dem Handelsszenario 2030 Handlungsalternativen ab. Je nach Leistungsversprechen, Geschäftsfeldern, Zielgruppen und Standorten sind Szenarien zu bedienen, die eher auf die Bequemlichkeit der Konsument*innen abzielen oder aber auf deren Emotionalisierung. Dabei ist zu konstatieren, dass es keine Schwarz-Weiß-Betrachtung geben kann. Vielmehr sind Tendenzen zu erkennen und diese Tendenzen mit Geschäftsmodellen und Handelsformaten zu bedienen. Je nach Szenario finden sich konkrete Ansatzpunkte und Möglichkeiten der Differenzierung.

Um also aus dem Teufelskreis von weniger Innenstadtbesucher*innen und schließenden Geschäften auszubrechen, ist der Handel angehalten, sich im Spannungsfeld von Convenience, Erlebnis, lokalen sowie digitalen Angeboten neu zu positionieren und sich verstärkt als Freizeitanbieter neu zu definieren.

Mit Ausbruch der Corona-Krise, die in der Studie noch nicht berücksichtigt war, weil die Prognosen ausgehend vom Jahreswechsel 2019/2020 berechnet wurden, ist die Handelsbranche in ungekannter Dringlichkeit gefordert, einen radikalen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Das Handelsszenario 2030 zeigt: auf das Zeitalter der Perfektion von Prozessen rund um Beschaffung und Absatzoptimierung folgt aus der analytischen Sicht ein neues Zeitalter, dass die persönliche Nähe in den Fokus setzen muss. Es geht in der Zukunft darum, Handel als Freizeitgut zu verstehen und eine komplett andere Wertewelt und ein neues Leistungsversprechen zu erschaffen. Wie dieses erfolgen kann, ist branchen- und unternehmensindividuell zu erarbeiten und in Anbetracht der neuen Krise mehr denn je gefordert.

Informationen:

Mehr zum Handelsszenario erfahren Sie hier: https://handelsszenario.ifhkoeln.de



Boris Hedde

Boris Hedde ist Geschäftsführer des IFH Köln. Seine Schwerpunkte sind forschungsbasierte Markt-, Kunden- und Standortbewertung sowie Beratung in den Themenfeldern Handel im digitalen Zeitalter und (kommunaler) Strukturwandel. Er gründete VITAIL – das Kompetenzforum für Handel und vitale Innenstädte und ist einer der Gründer von coadvise, einer Genossenschaft unabhängiger Digitalberater. Zudem engagiert er sich als Mitglied unterschiedlicher ministerieller Ausschüsse und verbandsbezogenen Jurys rund um mittelständischen Handel und lokale Belebung.

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