„Muss nur noch kurz die Welt Stadt retten…“ – Einige Gedanken dazu, wie (und mit wem) die Stadtrettung eigentlich gelingen kann
Ein Gastbeitrag von Ute Marks, Jens Nußbaum und Stefan Postert von Stadt + Handel zum Thema Innenstadtrettung. Wie soll das funktionieren? Und welche Akteur:innen werden benötigt?
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Diese Handlungsempfehlung klärt auf und gibt einige wichtige Denkanstöße.
Da stehen wir nun nach zwei Jahren Pandemie: Lockdown, Social Distancing, Home Office, Kurzarbeit oder sogar Jobverlust – und manche hoffen vielleicht, einfach irgendwann aus dem bösen Traum zu erwachen und alles „wie früher“ vorzufinden. Aber früher war nur früher, nicht besser. Die Verwerfungen, denen sich unser Leben, unsere Städte und auch unsere Umwelt ausgesetzt sehen, waren bereits vor der Pandemie sichtbar.
Jetzt wollen wir alle die Stadt „retten“. Aber vor wem? Womit? Und spätestens die Generation Alpha wird sich fragen: Warum überhaupt? Darauf gilt es Antworten zu finden – und zwar individuell für jede einzelne Innenstadt. Ansonsten kann die Rettung nicht gelingen. Welches Mindset es dafür braucht, haben wir bereits im ersten Teil unseres Essays skizziert. Nun soll es darum gehen, wie ein solcher Prozess gestaltet werden kann.
Von der Strategie zur Umsetzung: Eine Story für die Innenstadt
Innenstädte müssen eine Story erzählen – denn nur so lassen sich die Herzen potenzieller Besucher:innen erobern! Diese Story müssen die Aktivist:innen, Treiber:innen und Entscheider:innen der Innenstadt sukzessive, konsistent und gemeinsam schreiben – von der ersten Zukunftsvision, über ein Storyboard und
das Innenstadt-Drehbuch bis zur eigentlichen (Erfolgs-)Geschichte. Eine Einbindung aller relevanten Stakeholder ist daher absolute Pflicht. Und das Ganze bitte in schlanken Dialog- und Arbeitsformaten, in denen miteinander gesprochen wird – nicht übereinander.
Das beste Konzept nützt dabei nichts, wenn es als „Papiertiger“ in der Schublade verschwindet. Und auch die engagiertesten Stadtretter:innen verfehlen ihre Ziele, wenn gar nicht klar ist, welche es denn eigentlich sind. Dafür braucht es nicht die x-te SWOT-Analyse, sehr wohl aber eine echte, strategische Positionierung! Es braucht keine „Pinselsanierung“, sondern konkrete Interventionen und langfristige Investitionen – allesamt maximal auf zuvor definierte Zielbilder ausgerichtet! Dafür müssen Konzeptionalisierung und umsetzungsorientiertes Management Hand in Hand gehen.
Wer zukunftsweisend die richtigen Weichen stellen will, muss auch in die Zukunft schauen! Anstatt „business as usual“ braucht es neue Denkanstöße und Impulse sowie eine Klärung der strategischen Zielrichtung der Innenstadt, gemeinsam mit allen relevanten Stakeholdern – von Beginn an auf Augenhöhe! Dabei sollte man keine Angst vor Partikularinteressen haben, sondern vielmehr aus Eigensinn gemeinsame Sache machen.
Das setzt eine aktivierende Prozessgestaltung, Diskussionen mit offenem Visier und bereits im Prozess sichtbare und spürbare Quick Wins voraus.
Von Co-Ignoranz zu Co-Kreation: Eine Task Force für die Innenstadt
Innenstadtrettung muss inspirieren, schnell erste Ergebnisse produzieren und langfristig nachhaltig wirken. Dafür
bedarf es kompakter Dialogformate mit Methoden des Co-Working, Design Thinking und des Prototyping. Lust auf Ideenfrische und Spaß an Inspiration sollten die Markenzeichen des Prozesses sein – und das unbedingt an ungewöhnlichen Orten, egal ob leerstehende Immobilie, profane Kirche, kultige Kneipe oder faszinierende Kulturstätte. Hauptsache keine „Turnhallenveranstaltung“. Dabei gilt es sowohl die Schwarmintelligenz der gesamten Stadtgesellschaft durch smarte (Online-)Beteiligung als auch die Schwarmkompetenz einer Task Force aus Aktivist:innen durch kleine, zielgerichtete Workshop-Formate einzubinden.
Der drohenden Gesichtslosigkeit sind Gesichter entgegenzustellen, neu zusammen- und aufgestellt. Im Zentrum steht ein neues, konstruktives Miteinander. Direkt zu Beginn des Prozesses müssen der Blick auf noch nicht im Fokus stehende Gruppen geweitet und auch bewusst zukünftige Generationen mit einbezogen werden. Nur so entstehen neue Allianzen, die sich über passgenaue Projekte definieren. Teilnehmen heißt aber auch mehr als Konsumieren – eine Teilnahme ist Verpflichtung zum Mitmachen, zum Mitgestalten und zur Verantwortungsübernahme. Und dafür braucht es (von der Kommune) Planungssicherheit, Umsetzungsgarantien, Investitionsanreize und sichtbare Zeichen als motivierende Faktoren!
Von der Vision zur Mission: Eine Offline-Strategie für die Innenstadt
Allein mit einem „Masterplan“ oder einem ISEK wird man also nicht die Innenstadt retten – da braucht es schon mehr. Es bedarf einer „Offline-Strategie“, die die analogen Qualitäten des Urbanen profiliert, die relevanten Stakeholder zu einer Community vereint und dauerhaft tragfähige Strukturen generiert. Leichter gesagt als getan? Eigentlich nicht – das geht in fünf Schritten:
DER IMPULS: Aufbruchstimmung zu erzeugen und den Diskussionsprozess über die Zielrichtung der Innenstadtentwicklung anzustoßen ist wichtiger als dezidierte Analysen! Die Begabungen der Innenstadt kompakt und
auf den Punkt gebracht zu bewerten reicht völlig aus. Wenn man schon die Lupe rausholt, dann lohnt sich vielleicht eher ein Blick auf die Stakeholder: Wer kann eigentlich mit wem? Und wer ist (warum) nicht Teil bestehender Netzwerke? Gleichzeitig gilt es die Akteur:innen zu motivieren, neue Perspektiven aufzuzeigen und frische Denkanstöße zu initiieren. Und das alles vor allem schnell – „Flying Doctor“ anstatt Bestandsanalyse, „Speed-Dating“ anstatt Experteninterviews…
Der Output: Ein kompakter Fitness-Check und motivierender Kick-off für den weiteren Prozess!
DIE VISION: Mit den wichtigsten Stakeholdern wird die Innenstadt aus der Sicht unterschiedlicher Zielgruppen diskutiert. Wer kommt eigentlich in die Stadt? Und noch viel wichtiger: Wer eigentlich nicht – und warum? Es gilt ein belastbares und realistisches Zielbild zu entwickeln. Denn erst nach der Entwicklung eines klaren (!) und echten (!!) Leitbilds kann man über den Weg dorthin diskutieren. Das gelingt nur, wenn die Stakeholder konsequent die Perspektive derjenigen einnehmen, die man zu einem Innenstadtbesuch motivieren will. Das Ergebnis ist die „Visitor Journey“ für die Besucher:innen von morgen.
Der Output: Ein Innenstadtleitbild mit den wesentlichen Entwicklungsleitlinien für die Neupositionierung!
DIE IDEENSCHMIEDE: Der Erlebnisraum der Innenstadt wird unter Rückgriff auf das zuvor entwickelte Leitbild auf den Prüfstand gestellt. Jede Idee ist dabei willkommen. Es werden aber keine „Luftschlösser“ gebaut: Jede Idee muss maximal auf das zuvor entwickelte Zukunftsbild einzahlen und wird einem „Realitäts-Check“ unterzogen – ganz
automatisch in einem Prototyping-Atelier. Unter Rückgriff auf die gleichnamige Methode werden in einem Werkstattverfahren aus ersten Ideen schnell konkrete Prototypen mit Umsetzungsreife. Gemeinsam mit den Stakeholdern wird eine „Toolbox für die Innenstadt“ zusammengestellt, die sich (je nach Zielbild) aus funktionalen, städtebaulichen oder aktivitätsbezogenen Profilierungsinstrumenten zusammensetzt – denn für die Innenstadt von morgen braucht es smarte Angebote, kreative Stadträume und gemeinsame Aktivitäten.
Der Output: Eine passgenaue Profilierungsstrategie – direkt von den Akteur:innen entwickelt, die auch deren Umsetzung verantworten!
DIE MANUFAKTUR: Jetzt wird es konkret! Die entwickelten Prototypen werden von den Innenstadt-Akteur:innen direkt umgesetzt – sichtbar im Stadtraum und wahrnehmbar für die Stadtgesellschaft. Die Innenstadtrettung ist ein Marathon – es bedarf aber immer wieder kleiner „Zwischensprints“, um genügend Motivation, Vertrauen und Zuversicht für den langen Weg zu generieren. Die handelnden Personen werden dabei unterstützt durch Beratungsangebote, ein proaktives und ermöglichendes Verwaltungshandeln, operative (ggf. auch finanzielle) Hilfen und Fachexpertise von außen. Gleichzeitig werden für längerfristige Investitionen strategisch relevante Schlüsselimmobilien in den Blick genommen und die Eigentümer:innen in den Prozess mit einbezogen.
Der Output: Sichtbare Interventionen und eine Vielzahl an konkreten Projekten direkt aus der Mitte der Stadtgesellschaft!
DIE VERSTETIGUNG: Wie bereits gesagt: Die „Rettung“ unserer Innenstädte ist ein Marathon, kein Sprint. Dafür braucht es kurzfristig handlungsfähige und dauerhaft tragfähige Kooperations- und Managementstrukturen – maßgeschneidert für die jeweilige Stadt. Dieses ABC des Innenstadtmanagements sollte gemeinsam mit der durch den angestoßenen Prozess gebildeten Community entwickelt werden – von A wie Anforderungen über B wie Betrieb bis zu C wie der Charta des Innenstadtmanagements. Ressourcen für
den Aufbau und den Betrieb geeigneter Managementstrukturen sind unbedingt im Rahmen eines solchen Zukunftsprozesses mitzudenken. Es ist jedoch auch klar: Für die Innenstadt von morgen müssen alle Akteur:innen (öffentlich wie privat) einen signifikanten Beitrag leisten.
Der Output: Erprobte und arbeitsfähige Kooperationsstrukturen so-wie die Überführung in ein professionelles Innenstadtmanagement!
Auch wenn Innenstädte der Zukunft anders aussehen werden: Wie sie aussehen, wird sich in den einzelnen Kommunen ganz unterschiedlich gestalten. Dazu gehört auch mutiges Ausprobieren und Offenheit gegenüber innovativen Ansätzen. Stadtmacher:innen sind gefragt! Gehören Sie dazu? Dann suchen Sie sich Gleichgesinnte, die Sie bei dem Weg in die Zukunft unterstützen!
Ute Marks, Jens Nußbaum und Stefan Postert
für Stadt + Handel
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